Neue Haut aus der Hautfabrik

Neue Haut für schwer brandverletzte Menschen kann jetzt aus einer Gewebeprobe fabrikmässig gezüchtet werden. Auf ähnliche Weise lassen sich auch neue Knorpel für lädierte Gelenke herstellen.

Künstliche Haut unter dem Mikroskop: Der Aufbau ähnelt der menschlichen Haut stark.

Künstliche Haut unter dem Mikroskop: Der Aufbau ähnelt der menschlichen Haut stark.
Bild: PD

Werden bei einem Verbrennungsunfall grosse Teile der Haut zerstört, ist dies eine lebensbedrohliche Situation. Denn nun fehlen dem Betroffenen Teile eines wesentlichen Schutz-, Abwehr- und Wärmeregulationsorgans. Bei Erwachsenen mit oberflächlichen Verbrennungen kann man an gesunden Körperstellen Haut steril «abrasieren» (sogenannte Spalthaut), aufbereiten und damit verbrannte Stellen decken. Diese sehr dünnen körpereigenen Transplantate beschleunigen die Heilung.

«Bei Verbrennungen zweiten Grades profitieren die Patienten von einem Hauttransplantat», sagt Pietro Giovanoli von der Klinik für Plastische Chirurgie am Universitätsspital Zürich. Der Chirurg entnimmt zu diesem Zweck ein etwa briefmarkengrosses und vergleichsweise dickes gesundes Hautstück beim Patienten und schickt es einem spezialisierten Institut. Dort werden innerhalb von etwa drei Wochen viele neue Hautstücke gezüchtet, die dann auf die verbrannten Körperstellen transplantiert werden können.

Automat für Hautstücke

Diese Hautzüchtung geschieht bislang weitgehend manuell und entsprechend aufwendig. «Sehr viel kostengünstiger, effizienter und unter hygienischen Bedingungen sicherer ist es, wenn man die Arbeitsschritte vollständig automatisiert», sagt Heike Walles. Die Wissenschaftlerin vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) hat mit ihren Kollegen und weiteren Fraunhofer-Instituten eine Hautfabrik entwickelt.

Die Produktionsanlage verhundertfacht entnommene Hautproben innerhalb von drei Wochen und stellt daraus dreidimensionale Hautäquivalente her. Es sei möglich, monatlich etwa 5000 briefmarkengrosse Hautstücke zu produzieren, so Walles. Ein grosser weiterer Vorteil der Anlage ist ihren Angaben zufolge, dass diese Hautstücke von gleich bleibender Qualität sind.

Mehrere Zelltypen

Vergleicht man unter dem Mikroskop die natürliche Hautprobe eines Menschen mit dem aus menschlichen Zellen künstlich hergestellten Hautäquivalent aus der Maschine, fällt die Übereinstimmung ins Auge. Gelungen ist dies unter anderem, weil nicht nur Zellen der Oberhaut (Keratinozyten) benutzt werden, sondern auch die in den Hautproben der Spender vorhandenen jungen Bindegewebszellen der Haut (Fibroblasten). Denn es soll ein Hautäquivalent erzeugt werden, das funktionell der natürlichen Haut möglichst nahe kommt, und diese besteht aus verschiedenen Zelltypen. Kultiviert man die beiden Zelltypen jedoch gemeinsam, fallen die Fibroblasten über die Keratinozyten her.

Walles und ihre Kollegen haben den Automaten darauf ausgerichtet, beide Zelltypen zu unterscheiden, automatisch getrennt aus der Hautprobe zu isolieren und zu kultivieren. Die nun erzeugten Haut-Fibroblasten werden von der Maschine in eine Biomatrix eingebettet und bilden damit die Unterlage für die neuen Oberhautzellen (Keratinozyten), die darauf ausgesät werden. Auf diese Weise entsteht ein mehrschichtiges Hautstück, sehr ähnlich dem natürlichen Muster.

Virenfreie Haut

Der komplexe Produktionsprozess ist begleitet von ständigen Kontrollen, die ebenfalls ohne direkten Kontakt mit den Proben, also nicht invasiv erfolgen. Dies vermindert die Gefahr der Kontamination vor allem mit Viren.

Doch wozu braucht man 5000 Hautproben pro Monat? Die Anlage ist eigentlich entwickelt worden, um den grossen Bedarf der pharmazeutischen, chemischen und kosmetischen Industrie an Hautproben zu decken. Sie testen damit zum Beispiel die toxikologische Verträglichkeit neuer Produkte. Auf Tierversuche kann dadurch verzichtet werden. Die Stuttgarter können sogar verschiedene Hauttypen produzieren, sei es Frauen- oder Männerhaut oder getrennt nach Fototypen. «Ein Engländer hat zum Beispiel Fototyp 1, ein Nigerianer Fototyp 5», erläutert Walles. Je nach Hauttyp sind die Reaktionen auf Chemikalien in Kombination mit Sonneneinstrahlung verschieden.

Knorpel aus Kniegelenk

Heike Walles kann sich vorstellen, dass grosse Spitäler solche Gewebeproduktionsanlagen in Zukunft kaufen, um vor Ort und ohne lange Transportwege die benötigten Gewebetransplantate für ihre Patienten herzustellen. Das können Hautzellen sein, aber auch Knorpelzellen für die Orthopädie und Unfallchirurgie. Der Herstellungsprozess ist ganz ähnlich: An gesunden Knorpelstellen, etwa einem Kniegelenk, werden kleine Proben entnommen und in die «Fabrik» gegeben. Dort werden diese klein gehackt, die Zellen isoliert, vermehrt und zu einem dreidimensionalen Konstrukt aufgebaut. «Die Knorpelherstellung ist sogar noch einfacher als die Hautproduktion, weil wir es nur mit einem Zelltyp zu tun haben», sagt Walles.

Am Fraunhofer-Institut entwickelt man zudem Darm-, Leber- und Luftröhrenmodelle für pharmakologische und toxikologische Untersuchungen. Womöglich wird man künftig sogar ohne Gewebeproben vom Menschen auskommen. Dann nämlich, wenn es gelingt, Stammzellen so zu programmieren, dass aus ihnen spezialisierte Haut- oder Knorpelzellen werden.

Quelle: http://bazonline.ch/wissen/medizin-und-psychologie/Zellen-aus-der-Hautfabrik-/story/22380248

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